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Krefelder Mundart

Zum Buch von Georg Cornelissen: Meine Oma spricht noch Platt

Meine Damen und Herren,

Georg Cornelissen hat sein neues Buch „Meine Oma spricht noch Platt“ genannt. Das Wörtchen „noch“ im Buchtitel steht in diesem Zusammenhang gewissermaßen für den Inhalt des Buches. Der Autor weist darin - sehr umfassend recherchierend - nach, dass die Zahl derer, die Dialekt sprechen, bzw. sich darin artikulieren können, immer kleiner wird, und dass damit der Niedergang der Mundarten als Umgangssprache – ob man es nun wahrhaben will oder nicht – wohl nicht aufzuhalten ist.

Das ist auch für mich Fakt und lässt sich nicht verleugnen. Meine eigenen Erfahrungen als einer, der noch Platt spricht, bestätigen das. Ich gehöre ja auch zu dieser Generation von Omas und Opas, die der hiesigen Mundart noch mächtig sind. Ich werde gleich noch näher darauf zu sprechen kommen.

Aber zum Buch. Ich muss ehrlich gestehen, ich habe mich durch die Lektüre erstmals sehr detailliert damit befasst, wie sich unsere heimatlichen Dialekte im Laufe der Jahrhunderte entwickelt und verändert haben - welche Ereignisse und Gegebenheiten Einfluss auf die Sprachentwicklung insgesamt ausgeübt haben. Cornelissen geht in seinem Werk hier sehr akribisch vor. Einige Artikel widmet er der sprachgeschichtlichen Entwicklung, in anderen wieder geht er der Frage nach, welche Gesellschafts-schichten zu welchen Zeiten vorwiegend Platt oder Hochdeutsch sprachen.

Nun schreibe ich ja selbst in Krefelder Mundart – unserem Krieewelsch Platt – aber ich habe mich dabei eigentlich immer rein intuitiv auf meine eigenen Sprachkenntnisse verlassen. In Cornelissens Buch habe ich nun erfahren, wie interessant und spannend es sein kann, sich mit der Geschichte der Mundarten zu befassen. In abwechslungsreichen Artikeln, die sowohl sprachwissenschaftlich interessant, wie auch mit humorvollen Anekdoten gespickt sind, erzählt der Autor, wie sich unsere rheinischen Dialekte entwickelt haben.

Ich kann das Buch deshalb jedem Mundartfreund – und besonders den Mundartschreibern ans Herz legen. Es ist - wie auch die bisherigen Werke Cornelissens – lesefreundlich und gut gestaltet und mit aussagekräftigen karthographischen Darstellungen ausgestattet. Optisch ist durch den Einsatz einer zweiten Druckfarbe auf Anhieb zu erkennen, wann Cornelissen selbst argumentiert und wann er in zahlreichen Zitaten Dialektsprecher oder andere Autoren zu Wort kommen lässt.

„Meine Oma spricht noch Platt“ – für „Oma“ könnte hier genau so gut auch „Opa“ stehen. „Meine Opa kann noch jut Platt sprechen“ wäre zum Beispiel eine Aussage im hiesigen Regiolekt, einer Sprache, die vereinfacht gesagt, den Dialekt mit dem Hochdeutschen verbindet. Diese Sprache ist – anders als der reine Dialekt - natürlich viel verbreiteter. Der Regiolekt wird sich auch – anders als der Dialekt – noch über einen langen Zeitraum als Umgangssprache halten. Nehmen wir da doch nur die Bayern. Deren Alltagssprache, die sie durchaus meist für gutes Hochdeutsch halten, ist für mich ein ganz intensiver Regiolekt. Man findet darin Wörter, die nie und nimmer dem Hochdeutschen zuzuordnen sind.

Bleiben wir noch einmal bei Oma und Opa, die noch Platt sprechen. Vielleicht kurz dazu meine eigenen Erfahrungen. Ich bin Jahrgang 1939, also ein Opa-Jahrgang. Mein Elternhaus stand hier gegenüber auf der Peter-Lauten-Straße – damals Süchtelner Straße. Meine Großeltern wohnten oben im gleichen Haus. Meine Eltern haben, wenn ich mich recht erinnere, nie Platt mit meinem Bruder und mir gesprochen, obwohl sie es beherrschten und sich im Freundeskreis auch so artikulierten.

„Zuhause durften wir nicht Platt sprechen“, so heißt ein Kapitel von Cornelissens Buch. Das kann ich auch für meine Person bestätigen – zumindest war das so in meiner elterlichen Wohnung. Mein Opa aber sprach nur Platt mit uns. Meine Oma hingegen sprach in unserer Gegenwart nie Platt. Wenn Opa uns hintergründig lächelnd seine Dönekes erzählte – wie gesagt, in Krieewelsch Platt – dann sagte Oma immer: „Vater, nu sprich anständig mit die Jungens!“ Das war Omas Hochdeutsch. En Krieewel sät m’r „Deudeutsch“ dofür – von „sich enne Deu antuen“. Heute würde man sagen, Oma sprach Regiolekt.

Bleibt zu berichten, wo wir unser Plattsprechen gelernt haben. Opa war da sicher nicht der einzige Lehrer. Ganz einfach gesagt, wir lernten es auf der Straße. Es war unsere selbstverständliche Umgangssprache. Kaum, dass wir das Haus verlassen hatten, wurde mit den Freunden nur noch Platt gesprochen.
Hier im Westen Krefelds, in einem Arbeiterviertel, hörten wir in den vierziger und fünfziger Jahren von den Erwachsenen und Kindern in der Hauptsache den Krefelder Dialekt auf der Straße. Zuhause und in der Schule Hochdeutsch, auf der Straße Krieewelsch Platt – da fiel uns der Wechsel von einer in die andere Sprache nicht schwer. Wir wuchsen also zweisprachig auf, wie Georg Cornelissen uns in seinem Buch bestätigt.

Der Autor geht, wie gesagt, intensiv der Frage nach, wie der andauernde Rückgang der plattdeutschen Sprache sich vollzogen hat und weiter vollzieht. Bevor sich im 16. Jahrhundert nach und nach die Hochdeutsche Sprache entwickelte und sich – zunächst nur bei den gebildeten Schichten - allenthalben durchsetzte, sprach das gemeine Volk in allen Regionen im Umgang miteinander nur Platt, und zwar das Platt der engeren Region. Bis heute noch kann man an den ehemaligen Sprachgrenzen den Unterschied von der einen zur anderen Mundart erkennen.

Nehmen wir hier einmal die sogenannte „Uerdinger Linie“, wie sie in Cornelissens Buch auch optisch dargestellt ist. Diese Sprachgrenze verlief nördlich der Krefelder Innenstadt. Der heutige Krefelder Stadtteil Hüls liegt hinter dieser Linie. Wenn sich zwei Plattsprecher aus Innenstadt und Hüls unterhalten, erkennt ein Mundartkundiger heute noch auf Anhieb, wo der jeweilige zuhause ist. Der Krefelder „kallt Krieewelsch Platt“ – der Hülser „vertöllt op Hölsch Plott“.

Kommen wir noch einmal zu der traurigen Tatsache, dass unser Plattdeutsch nach und nach umgangssprachlich verschwindet. Worauf ist das zurückzuführen? In Georg Cornelissens Buch liest man, wie sich schon im 19. Jahrhundert ein starker Wandel hin zum umgangssprachlichen Hochdeutsch vollzogen hat – hier natürlich vornehmlich bei den höheren Gesellschaftsschichten und in den Großstädten. Das Plattsprechen wurde mehr und mehr verpönt und als „jewöhnlich“ abqualifiziert.

Anfang des vorigen Jahrhunderts dann erkannte man, dass das „Kulturgut Plattdeutsch“ in Gefahr geriet, eliminiert zu werden. Viele Freunde der Mundart griffen deshalb zur Feder und veröffentlichten Schriften in Plattdeutsch. Auch im schulischen Bereich gab es hier und da Bemühungen, der plattdeutschen Sprache auch im Unterricht Raum zu geben. Einzelne Lehrer und Schulräte taten sich hier hervor, im Großen und Ganzen blieben das aber Einzelaktionen.

Schulrat Heckmanns war bei uns in Krefeld so ein Freund der Mundart. Ihm war es zu verdanken, dass der Krefelder Heimatdichter Willy Hermes in den fünfziger Jahren zu uns ins Schulandheim Herongen kommen durfte und uns seine Platt-Stöckskes vortrug, wenn wir dort alljährlich eine Ferienwoche mit Naturkundeunterricht verbrachten. Zu dieser Zeit gab es unter uns Jungen in der Klasse gerade einmal zwei oder drei Kameraden, die nicht in Krefeld geboren waren. Das waren die Flüchtlingskinder aus dem Osten Deutschlands. Bei dieser sprachlichen Übermacht von uns Krefeldern konnten sie jedoch keinen Einfluss auf unsere Sprachgewohnheiten nehmen. Das Platt blieb unsere Umgangssprache.

Bei Cornelissen nun liest man, wie zunächst der Vormarsch des Rundfunks in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, später das Fernsehen und vor allem die zunehmende Migration das Sprachverhalten beeinflusst hat. Die Bevölkerung musste sich zwangsläufig mehr und mehr dem umgangssprachlichen Hochdeutsch zuwenden, um miteinander kommunizieren zu können. Heute ist es den Kindern und Jugendlichen gar nicht mehr möglich, auf der Straße Platt zu sprechen, da würde sie niemand mehr verstehen. Ganz davon abgesehen, dass die heutige Jugend – selbst wenn „die Oma noch Platt spricht“ – dieser Sprache ja gar nicht mehr mächtig ist.

Meine Damen und Herren, ich gehöre selbst zu denjenigen, die noch etwas für den Erhalt der Mundart tun - wohlwissend, dass unser Platt bald nur noch eine Museums-sprache sein wird. Schade zwar, aber es ist so. Daran werden auch die löblichen Aktionen von Heimat- und Mundartvereinen sowie die Karnevals- und Mundart-Theatergruppen nichts ändern. Unserer Generation bleibt nur, durch Schrift und Tonaufnahmen wenigstens für spätere Zeiten die Erinnerung an das Kulturgut Plattdeutsch zu erhalten.

Wir mit den Krieewelsche Pappköpp hier im Theater pflegen unsere Mundart durch unser Marionettenspiel in Krieewelsch Platt. Unser Publikum rekrutiert sich zu 80 % aus der Generation, von der Georg Cornelissen sagt, dass sie noch Platt spricht. Wir freuen uns natürlich über jeden Besucher, der der jüngeren Generation angehört. Aber die Jüngeren unter unserem Publikum verstehen unser Platt zwar noch – sprechen können sie es jedoch nicht mehr. Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen, aber die sind doch höchst selten geworden.

Wir haben gerade in diesem Jahr versucht, zwei neue Mitglieder ins Ensemble zu holen, die erstens Platt sprechen können und zweitens möglichst unter 50 Jahre alt sein sollten. Unsere öffentliche Suche – unterstützt durch die Zeitungsmedien – war in soweit erfolgreich, dass wir zwei wertvolle neue Freunde gefunden haben. Aber, der eine ist 54, der andere 59 Jahre alt. Unter 50 war nichts zu machen.

Ein Kapitel in Georg Cornelissens Buch trägt den Titel „Hat das Düsseldorfer Platt eine Zukunft?“. Der Autor berichtet hier von einer Umfrage unter Mundart-Fachleuten in unserer Nachbarstadt. Man schaut hier zwar neidvoll auf die Kölner Szene, wo das Kölsch heute noch wie immer schon eine ganz andere Wertigkeit hat. Das Umfrage-ergebnis für die Zukunft des Dialekts in Düsseldorf ist aber vernichtend. Alle Experten, die sich ausnahmslos dem Erhalt ihrer Mundart gewidmet haben, kommen zu dem einhelligen Schluss, dass das Platt als Umgangssprache keinerlei Zukunft mehr hat. Das gleiche gilt – und das füge ich hinzu – sicher auch für Krefeld und unsere ganze Region. Sicher wird es hier mancherorts langsamer als andernorts vor sich gehen. In den länd-lichen Bezirken wird ja doch noch mehr Platt gesprochen als in den Städten.

Wir, die wir wie Cornelissens „Oma“ noch Platt sprechen, können zwar noch einiges tun, um den Niedergang der Mundart etwas zu verlangsamen, aber aufhalten werden wir ihn leider nicht können.

Georg Cornelissen schreibt – und das kann ich nur unterstreichen : Wie schnell auch immer die Karten für eine Mundart-Veranstaltung ausverkauft sein mögen – für den Erhalt unserer Dialekte gilt ausschließlich das auf der Straße gesprochene Wort! Mut-machen kann uns Mundartfreunden der Autor Georg Cornelissen da nicht. Aber lesenswert ist sein Buch allemal.

Ich danke Ihnen.

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